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Ayurveda
01 Mai 2020

Ayurveda-Blog Morgenstund hat Gold im Mund (5)

Um halb sechs Uhr morgens wartet ein Glas warmes Wasser und der Yogalehrer. Morgenmuffel und Langschläfer haben es schwer in einer Ayurveda-Kur.

Willkommen im Ayurveda-Blog «Pillen unter Palmen» von Tanja Polli. Während drei Wochen wird sie hier in regelmässigen Abständen den Verlauf ihrer Ayurveda-Kur in Indien dokumentieren.


Ausschlafen, gemütlich aufstehen und mit verschlafenem Blick einen doppelten Espresso trinken? Weit gefehlt! Der Start in den Tag spielt eine wichtige Rolle in der ayurvedischen Lebensführung. Und der Start, der ist früh: Die sogenannte Vata-Zeit endet um sechs Uhr morgens. Weil die Qualitäten der Vata-Zeit «Wachheit und Klarheit» sind, gilt es aufzustehen, bevor um sechs die deutlich trägere Kapha-Zeit anbricht.

Zeiten ändern sich, Bedürfnisse des Körpers nicht:

«Das gilt nicht nur hier, sondern auch zu Hause», sagt meine ayurvedische Ärztin mit Nachdruck. Egal, wie die Nacht davor ausgesehen hat, egal, ob es Montag ist oder Sonntag. Wer zu unregelmässigen Zeiten schlafe und aufstehe, bringe seinen Körper ins Ungleichgewicht, sagt Frau Doktor Hema K.P. Nicht von ungefähr kenne man Indien das Phänomen «Burn-out» erst, seit immer mehr Informatiker nachts arbeiteten, um über Zeitzonen hinweg mit Auftraggebern kommunizieren zu können. «Die Zeiten ändern sich», sagt sie, «die Bedürnisse des Körpers nicht».

Die Direktive ist also auch für den Abend klar: Um zehn Uhr geht die Kapha-Zeit – ruhig, schwer – in die aktivere Pitta-Zeit über. Wer also um halb elf hellwach am Kühlschrank steht, hat wahrscheinlich keinen Hunger, sondern einfach seine Einschlafzeit verpasst.

Was die Ayurvediker längst wussten, hält langsam auch in der modernen Medizin Einzug. «Circadianer Rhythmus» nennt man hier die Fähigkeit eines Organismus, regelmässige Tätigkeiten wie Schlafen oder Essen in einem konstant bleibenden Rhythmus durchzuführen, auch wenn die äusseren Umstände wechseln. Häufiges Umstellen dieses natürlichen Rhythmus’ durch unregelmässige Lebensführung oder Schichtarbeit schwächen erwiesenermassen das Immunsystem.

Der frühmorgendliche Energieschub:

Ab sofort ist also Tagwache um halb sechs. In Indien wird die Zeit am frühen Morgen traditionell für Meditation und Yoga genutzt. So auch hier. Vorher soll der Kurgast ein warmes Glas Wasser trinken, am besten mit etwas Zitronensaft. Das fördere die Verdauung, rege den Stoffwechsel an und entgifte.

Der Mensch ist flexibel, vor allem, wenn er sich am anderen Ende der Welt befindet. So verblasst der Wunsch nach einem doppelten Espresso rasch und der Mensch tappt im Dunkeln zur Yogahalle mitten im Palmenwald. Da ist er nicht allein. Dutzende haben bereits ihre Matten ausgerollt und sitzen oder liegen in Stille – wenn nicht gerade ein mobiles Telefon summt. Nach eineinhalb Stunden Meditation, Sonnengrüssen und weiteren yogischen Körperübungen weiss man, dass man auch am nächsten Morgen wieder im Dunkeln zu den Palmen tappen wird: Das Frühstück schmeckt danach einfach himmlich und man könnte, wenn man nicht gerade in einer Kur wäre und ausruhen sollte, einen ganzen Wald voller Bäume ausreissen.

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